In der Türkei hat die Inflation ein Niveau erreicht, das das tägliche Leben der Bevölkerung stark beeinträchtigt. Mit einer Inflationsrate von fast 65 Prozent im Dezember und einer anhaltend hohen Teuerungsrate werden Lebensmittel immer mehr zum Luxusgut. Ein dramatisches Beispiel für die wirtschaftliche Lage ist die Situation in den Supermärkten, wo inzwischen sogar Grundnahrungsmittel wie Butter, Zahnpasta und Babynahrung alarmgesichert sind, um Diebstähle zu verhindern.
Diese Maßnahmen sind eine direkte Folge der Wirtschaftspolitik unter Präsident Recep Tayyip Erdogan, die durch niedrige Zinsen gekennzeichnet war, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Diese Politik führte jedoch zu einer unkontrollierten Inflation, die im Oktober 2021 auf über 85 Prozent anstieg. Nach den Wahlen im Mai 2023 änderte die türkische Regierung ihre Strategie und erhöhte die Zinsen auf zuletzt 42,40 Prozent, um die Inflation zu bekämpfen.
Die hohen Lebenshaltungskosten belasten vor allem die mittleren und unteren Einkommensschichten. Viele Menschen, wie der Marktverkäufer Sabri Yavuz, der täglich mit zu wenig Geld nach Hause kommt, stehen vor existenziellen Herausforderungen. Die Kunden kaufen weniger, viele beschweren sich über die gestiegenen Preise.
Ein besonders drastisches Beispiel für die Wohnungsnot ist die Situation der Zentralbankchefin Hafize Gaye Erkan, die selbst in Istanbul keine bezahlbare Wohnung finden konnte und wieder bei ihrer Mutter eingezogen ist. Dieser Umstand sorgte vor allem bei Geringverdienern für großes Aufsehen und Unverständnis.
Ein weiterer kritischer Punkt sind die Mieten in der Türkei. Im November 2023 lagen sie landesweit im Durchschnitt 86,5 Prozent über dem Vorjahresniveau, was im Vergleich zu anderen OECD-Ländern einen beispiellosen Anstieg darstellt. Die gesetzliche Begrenzung von Mieterhöhungen auf maximal 25 Prozent pro Jahr führt dazu, dass viele Vermieter versuchen, bestehende Mietverhältnisse zu beenden und die Gerichte mit Räumungsklagen überschwemmen.
Die ökonomische Spaltung der Gesellschaft nimmt weiter zu. Während die Reichen immer reicher werden, leiden die Armen unter extremer Armut. Laut dem Ökonomen Seref Oguz zerstört die Inflation die Mittelschicht und führt zu einer Polarisierung der Gesellschaft. Menschen müssen im Alter wieder arbeiten, weil ihre Rente nicht zum Überleben reicht. Der Mindestlohn, von dem laut Regierung 37 Prozent der Bevölkerung leben, wurde auf 17.002 Lira angehoben, liegt aber weit unter der Armutsgrenze von 47.000 Lira.
Trotz der Prognose der Regierung, die Inflation werde bis Ende des Jahres auf 34 Prozent sinken, sind Experten skeptisch. Sie bezweifeln, dass die Regierung den langen Atem und die Disziplin aufbringen wird, die für eine erfolgreiche Inflationsbekämpfung notwendig sind. Ökonomen fordern eine Fortsetzung der orthodoxen Wirtschaftspolitik und eine starke Eindämmung der Staatsausgaben, um die Finanzlage des Landes langfristig zu stabilisieren.
In diesem wirtschaftlich angespannten Klima wird der soziale Frieden in der Türkei auf eine harte Probe gestellt. Die bevorstehenden Kommunalwahlen könnten zeigen, wie groß das Vertrauen in die Regierungsfähigkeit Erdogans und seiner Partei tatsächlich noch ist.